Günter hatte bei der Beantwortung der letzten Frage des Fragebogens „Welche Frage möchtest Du Zypresse unterwegs gern stellen?“ nachgehakt:
Wie erlebst du die Einheimischen, wenn du in anderen Ländern unterwegs bist?
... und heute ist es so weit: meine Antwort auf diese Frage gibt es hier.
Oh, eine interessante Frage, die Günter mir da stellt. Klar haben wir Erfahrungen, klar haben wir das ein oder andere erlebt - das aber jetzt in einen Zusammenhang, eine überzeugende Antwort zu bringen: eine Herausforderung, die ich mag. Und, kaum verwunderlich, ich habe mir überlegt, ich werde diese Frage mit einem Fokus auf unsere spezielle Reisesituation beantworten. Schließlich ist es schon ein wenig anders, wenn man mit einem Rollstuhl auf Reisen geht.
Gibt es Unterschiede zwischen „zu Hause“ und auf Reisen? Ganz klar und eindeutig gibt es sie. Zumindest für uns sind Unterschiede im Alltag, in der Art, wie wir aufgenommen werden erkennbar. Grob gesagt: in vielen Ländern ist es einfacher, angenehmer, selbstverständlicher, auch als Rollstuhlfahrer zu reisen.
Beginnen wir mit einer kurzen Skizze der Situation zu Haus, der in Deutschland oft gemachten Erfahrungen. Hier passiert es uns immer wieder, wenn wir beispielsweise
- einkaufen gehen, dass nicht mit meinem Gatten geredet wird, der neue Hemden kaufen will - sondern ich ganz selbstverständlich über seinen Kopf hinweg befragt werde: „das könnte ihm doch passen?“
- auf einem Behindertenparkplatz parken möchten diesen von offenbar nicht mobilitätsbehinderten Menschen belegt finden, die darauf angesprochen auch noch pampig reagieren: „ich warte hier doch nur auf …“
- bei der Bahn zum wiederholten Mal die Einstiegshilfe trotz rechtzeitiger Anmeldung nicht vorfinden oder der rollstuhlgerechte Großraumwagen nicht in den Zuge eingekoppelt wurde und Reisepläne damit ein jähes Ende finden
- ein Hotel suchen und die rollstuhlgeeigneten Zimmer nur in Vier- oder Fünf-Sterne-Häusern zu entsprechend horrenden Preisen zu bekommen sind (und dass es dann oft genug nur ein barrierefreies Einzelzimmer mit unbequemem Zustellbett für die Begleitperson ist - geschenkt)
Im Urlaub hingegen? Es scheint uns in vielen Ländern auf der Welt viel natürlicher, dass auch behinderte Menschen am Alltagsleben teilnehmen. Beispiele?
- Wir stehen vor dem Dom in Siena, betrachten die Stufen, die zum Portal hinauf führen und überlegen, wie wir denn wohl gemeinsam den Dom besichtigen könnten. Noch während wir da stehen kommen drei junge Männer auf uns zu, die vorher auf den Stufen gesessen hatten und fragen - auf englisch - ob sie meinen Mann die Stufen hinauftragen dürfen, damit er den Dom besuchen kann. Und selbstverständlich wären sie solange hier, bis wir auch gut wieder hinaus gekommen seien. Ganz einfach so, ohne dafür ein Trinkgeld zu erwarten, ja sogar, ohne überhaupt um Hilfe gebeten worden zu sein.
- Ich werde auf einer Reise in die Türkei krank. Als es mir langsam ein wenig besser geht, beschließt der Gatte, mir ein kräftiges Süppchen kochen zu wollen und macht sich allein vom Ferienhaus aus auf den Weg ins Dorf zum Einkaufen. Kaum dort angekommen findet er sich umringt von netten Menschen wieder. In Deutsch, mit seinen Brocken türkisch, mit Händen und Füßen wird er gefragt, was er benötige. Dann bringt ein Junge Tee für alle… mein Mann soll es sich bequem machen - und zwei andere Jungs werden mit konkreten Aufträgen zum Einkaufen geschickt. Sie kehren nach und nach zurück: mit Rindfleisch, mit Suppengrün, mit Brot… Derweil plaudert der Gatte mit den Männern, über das Leben, über Deutschland und die Türkei, warum er im Rollstuhl sitzt… all dies unter allgemeinem Gelächter, mit viel Spaß.
- Wir machen eine Reise durch Indonesien und übernachten mehrere Nächte auf einer Kakaoplantage. Zu unserem Zimmer im Gartenhaus geht es zwei Stufen hoch. Nachdem wir eingetroffen sind erscheint der Handwerker und baut eine passende Rampe aus ein paar einfachen Holzbrettern, lässt den Gatten ein paar mal testen, scherzt mit uns, ändert noch die ein oder andere Kleinigkeit - und wir haben für die Dauer unseres Aufenthaltes ein perfekt rollstuhlgeeignetes Zimmer.
- In den USA, in Australien, in Südafrika ist das Anmieten eines behindertengerecht mit Handgas und -bremse ausgestatteten Fahrzeuges ohne Mehrkosten kein Problem. Selbst wenn, wie wir es mehrfach erlebt haben, deutsche Reiseveranstalter den von ihnen bestätigten Sonderwunsch doch nicht an den Zielort weiter geleitet haben: nach spätestens zwei Tagen (in Südafrika, und das Fahrzeug konnten wir dann unterwegs austauschen, mussten also nicht an den ursprünglichem Anmietort zurück!), in den USA aber auch innerhalb einer knappen Stunde haben wir ein Auto wie gewünscht.
Mein Fazit:
auf Reisen erleben wir die Menschen vor Ort freundlich, aufgeschlossen, aufmerksam und hilfsbereit. Gern zu einem Schwätzchen aufgelegt. Wir reden gern mit Menschen, erfahren von ihnen aus ihrem Leben, hören über das Bild von Deutschland in der Welt. Wir erleben die Menschen natürlich und wissbegierig im Umgang mit dem Gatten, manchmal ein wenig neugierig, immer aber zu Hilfe und Unterstützung bereit. Vielleicht liegt es auch an uns (weil wir in Urlaubslaune sind?) - aber eigentlich glaube ich eher, es liegt an der doch mehr reservierten, professionell höflichen Art der Deutschen wenn wir uns zu Hause oft genug weniger willkommen, manchmal (weil mit besonderen Anforderungen) sogar als belastende, ungelegen kommende Gäste fühlen.
Reisen als Rollstuhlfahrer ist nicht schwierig und schon gar nicht unmöglich! Man kann fast überall auf der Welt Urlaub machen. Und an allen Orten trifft man auf hilfsbereite Menschen, selbst wenn es keine barrierefreie Infrastruktur geben sollte. Diese Erfahrungen haben wir immer wieder auf unseren Reisen gemacht. Ein Paradies für Rollstuhlfahrer sind ohne Zweifel die USA – hier haben, was „accessibility“ angeht mehrere Kriege mit behinderten Veteranen, die man nicht ausgrenzen konnte und die Bürgerrechtsbewegung ganze Arbeit geleistet. Aber auch sonst haben wir festgestellt, dass außerhalb Deutschlands, im Süden Europas oder in den sogenannten Entwicklungsländern die Menschen offen dafür sind, mit uns kleinere oder größere Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Und wie ist das bei euch? Habt ihr ähnliche Erfahrungen oder besondere Erlebnisse mit Menschen vor Ort machen können?
Wer schon geantwortet hat und auch meine Antworten auf die Gegenfrage könnt ihr hier nachlesen. Falls jemand von Euch auch gern meine Fragen beantworten und mir eine Gegenfrage stellen möchte: nur zu, kurze Nachricht genügt! Ich freu mich drauf.
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Ulrike (Samstag, 15 April 2017 06:25)
Interessanter Artikel! Ja, dass die USA zumindest rollstuhlgerecht ist, habe ich auch schon gehört. Seit mein Vater auf seinen Rollstuhl angewiesen ist und ich mit ihm öfters in Hamburg unterwegs bin, merke ich, wie schwierig hier das Leben im Rollstuhl sein kann. Selbst die Aufzüge, die die U-Bahn barrierefrei machen sollen, sind so eng, dass mein Vater sich kaum bewegen kann, oder die Tür nicht zugeht, weil die Füße zu ausgestreckt sind. Wie das Frauen mit Zwillingskinderwagen schaffen, weiß ich nicht! Auf der anderen Seite erlebe ich es, vor allem bei meiner Arbeit für die Bahnhofsmission, wie viel Hilfsbereitschaft es gibt. Die Bahnhofsmission hilft übrigens auch Rollstuhlfahrern beim Umsteigen. Wir können mit der Rampe umgehen und wissen Möglichkeiten, wenn es mal nicht so klappt wie gewünscht.
Mein Spezialland China ist leider kaum auf Rollstuhlfahrer und andere Menschen mit Beeinträchtigung eingerichtet.
Happy Travels!
Ulrike
zypresseunterwegs@web.de (Samstag, 15 April 2017 12:32)
Liebe Namensvetterin, Danke für Deine spannenden Ergänzungen. Und China - ja eigentlich würden wir gern mal dorthin reisen, aber wir fürchten auch (zu) viele Hindernisse vor Ort. Und Informationen sind, schon wegen der Sprachbarriere, nicht so einfach aus dem Internet zu ziehen...