Wenn der Frühling ins Land zieht und die ersten zarten Sonnenstrahlen den Boden erwärmen, beginnt eine ganz besondere Jahreszeit für Feinschmecker:innen und Backliebhaber:innen: Die Rhabarberzeit. Kaum ein anderes Gewächs wird so sehr mit dem Frühling in Verbindung gebracht wie dieser faszinierende Gemüse-Kandidat, der in der Küche oft wie Obst behandelt wird. Und obwohl der klassische Rhabarberkuchen längst ein bewährter Liebling ist, eröffnen sich in Kombination mit ungewöhnlichen Partnern wie Rosmarin und Cranberries völlig neue geschmackliche Dimensionen. Unser Rhabarberkuchen mit Rosmarin-Streuseln ist ein solches Geschmackserlebnis – überraschend, kontrastreich, aromatisch. Doch was macht diese Kombination so besonders? Tauchen wir ein in die Welt der Aromen und entdecken wir, warum gerade diese drei Zutaten eine magische Liaison eingehen.
Rhabarber – das saure Juwel des Gartens
Rhabarber (Rheum rhabarbarum) ist eine Pflanze voller Widersprüche: botanisch ein Gemüse, kulinarisch jedoch meist süß verarbeitet. Seine dicken, fleischigen Stiele verströmen eine Mischung aus
frischer Säure, leicht grasiger Bitterkeit und subtiler Fruchtigkeit. Diese Geschmackspalette macht ihn zu einem vielseitigen Protagonisten in der Küche. Besonders die leuchtend roten Sorten wie
„Holsteiner Blut“ oder „Frambozen Rood“ bringen nicht nur optisch, sondern auch geschmacklich eine besondere Tiefe mit sich – ihre Säure ist feiner, ihr Aroma fruchtiger.
Doch Rhabarber ist nicht nur ein Geschmackswunder, sondern auch eine Pflanze mit Geschichte. Ursprünglich aus dem Himalaya stammend, kam er über die Seidenstraße nach Europa und wurde zunächst
medizinisch genutzt – seine Wurzeln galten als abführendes Heilmittel. Erst viel später entdeckte man das kulinarische Potenzial seiner Stiele. Heute ist Rhabarber aus der Frühlingsküche nicht
mehr wegzudenken, doch selten verlässt er das gewohnte Terrain von Zucker, Vanille und Baiser. Umso spannender wird es, wenn man ihm neue Spielpartner zur Seite stellt.
Rosmarin – die mediterrane Überraschung
Rosmarin (Rosmarinus officinalis) ist eine der ältesten bekannten Küchen- und Heilpflanzen und stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum. Seine Nadeln verströmen ein intensives Aroma, das an
Kiefer, Kampfer und Zitrus erinnert. In der herzhaften Küche kennt man ihn als perfekten Begleiter für Ofenkartoffeln, Lamm oder mediterranes Gemüse. Doch seine ätherischen Öle haben auch eine
erstaunliche Affinität zur süßen Küche – sofern sie sparsam und gezielt eingesetzt werden.
Gerade in Kombination mit fruchtiger Säure und buttrigen Komponenten entfaltet Rosmarin eine überraschende Eleganz. Er hebt die Fruchtigkeit hervor, unterstreicht die erdige Tiefe des Rhabarbers
und kontrastiert gleichzeitig die Süße der Streusel mit einer harzigen, kräuterigen Note. In unserem Rezept wird Rosmarin nicht nur als würzendes Element, sondern als integraler Bestandteil der
Streusel verwendet – fein gehackt und sanft angeröstet, sodass sich sein Aroma voll entfalten kann, ohne zu dominieren.
Cranberries – kleine Beeren mit großer Wirkung
Cranberries, die nordamerikanischen Verwandten der Preiselbeeren, bringen eine eigene Dynamik in dieses Rezept. Sie sind herb, fruchtig, leicht bitter und intensiv in ihrer Säure. Ihre tiefrote
Farbe verleiht dem Kuchen nicht nur visuelle Raffinesse, sondern auch eine aromatische Schicht, die sich perfekt zwischen die säuerliche Frische des Rhabarbers und die warmen, harzigen Noten des
Rosmarins schmiegt. Besonders getrocknete Cranberries, leicht in Orangensaft oder einem Schuss Likör eingeweicht, steuern eine angenehm kaubare Textur bei und sorgen für kleine aromatische
Überraschungsmomente beim Essen.
Die Kombination von Rhabarber und Cranberries ist dabei durchaus ungewöhnlich – schließlich trifft hier die frühlingshafte Säure Mitteleuropas auf die herbe Herbheit Nordamerikas. Doch gerade
diese Begegnung erzeugt eine lebendige Spannung, die durch die buttrigen, knusprigen Rosmarin-Streusel ausbalanciert wird.
Was also macht diesen Kuchen so besonders? Es ist die Gleichzeitigkeit von Kontrast und Harmonie. Die säuerliche Frische des Rhabarbers trifft auf die herbe Fruchtigkeit der Cranberries und wird
von der aromatischen Wärme des Rosmarins umrahmt. Die knusprigen Streusel bieten Struktur, die saftige Füllung sorgt für Schmelz – ein Spiel der Texturen und Aromen, das sowohl überrascht als
auch tröstet. Jeder Bissen erzählt eine kleine Geschichte von Waldspaziergängen, mediterraner Sonne und regennassen Frühlingsgärten.
Die Süße des Kuchens ist dabei bewusst zurückhaltend – sie dient mehr dem Ausgleich als der Dominanz. Denn zu viel Zucker würde die feinen Bitterstoffe des Rosmarins und die frische Säure des
Rhabarbers überdecken. So entsteht ein Kuchen, der nicht einfach süß, sondern aromatisch komplex ist. Ein Kuchen, der sowohl zum Kaffeekränzchen als auch zum feinen Dessert serviert werden kann,
der sowohl Großmütter als auch Gourmets begeistert.
Die Entscheidung, Rosmarin in einem süßen Kuchen zu verwenden, mag zunächst gewagt erscheinen – schließlich ist die Trennung von süß und herzhaft in vielen Küchen noch fest verankert. Doch genau
hier beginnt die kreative Küche. Sie stellt Fragen: Was passiert, wenn wir gewohnte Kombinationen hinterfragen? Welche Aromen lassen sich auf neue Weise miteinander verweben? Und wie können wir
aus traditionellen Zutaten moderne Geschmackserlebnisse kreieren?
Unser Rhabarberkuchen mit Rosmarin-Streuseln ist ein solches Experiment – gelungen, ausbalanciert, überraschend. Er lädt ein, über den Tellerrand hinauszublicken und Altvertrautes neu zu
entdecken. Die Zutaten mögen auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, doch genau darin liegt die Schönheit: in der kühnen Kombination, im Dialog der Gegensätze, in der Harmonie der Vielfalt.
Fazit: Ein Kuchen, der inspiriert
Dieser Rhabarberkuchen ist mehr als ein einfaches Rezept – er ist ein Ausdruck saisonaler Kreativität, ein Plädoyer für mutige Geschmackskombinationen und ein Fest der Sinne. Er vereint das Beste
aus verschiedenen Welten: die rustikale Herzlichkeit eines Obstkuchens, die Eleganz feiner Kräuteraromen und die Frische frühlingshafter Zutaten. Ein Kuchen, der nicht nur den Gaumen, sondern
auch die Fantasie anregt.
Wer sich auf dieses Abenteuer einlässt, wird mit einem einzigartigen Geschmackserlebnis belohnt – und vielleicht mit der Erkenntnis, dass die spannendsten Genüsse oft jenseits der ausgetretenen
Pfade liegen.
Rezept für eine Kastenform
Teig
150 ml Buttermilch
300 g Rhabarber
1Esslöffel Zitronensaft
150 g Zucker
280 g Mehl
2 Teelöffel Backpulver
50 g getrocknete Cranberries
125 g weiche Butter
2 Päckchen Vanillezucker
Salz
3 Eier
Streusel
1 Zweig Rosmarin
50 g Butter
80 g Mehl
50 g Zucker
eine Prise Salz
Für den Teig den Rhabarber waschen, putzen und in etwa 1 cm dicke Stücke schneiden. 200 ml Wasser mit dem Zitronensaft und zwei Esslöffeln Zucker aufkochen. Den Rhabarber darin 3 Minuten kochen.
Dann in ein Sieb abgießen und abtropfen lassen.
Den Backofen auf 180 Grad (Ober-/Unterhitze) vorheizen. Die Kastenform mit Backpapier auslegen.
Mehl und Backpulver mischen. Rhabarber und Cranberries mit zwei Esslöffeln der Mehlmischung vermengen. Die Butter in einer Schüssel cremig rühren, den restlichen Zucker Vanillezucker und zwei
Prisen Salz unterrühren bis der Zucker fast aufgelöst ist. Die Eier nacheinander unterrühren. Dann die Mehlmischung und 125 ml Buttermilch unterrühren. Zuletzt die Rhabarber-Cranberry-Mischung
unter den Teig heben. Den Teig in die Form füllen und glatt streichen. Im vorgeheizten Backofen auf der unteren Schiene etwa 30 Minuten vorbacken.
Für die Streusel inzwischen den Rosmarin waschen, trocken schütteln, die Blätter abzupfen und fein hacken. Die Butter zerlassen und den Rosmarin darin etwas ziehen lassen. Mehl, Zucker und Salz
hinzufügen und zu Streuseln verkneten.
Den Kuchen aus dem Backofen nehmen. Mit der restlichen Buttermilch bestreichen und mit den Streuseln bestreuen. In weiteren 30 Minuten goldbraun backen (Stäbchenprobe). Den Kuchen 10 Minuten in
der Form ruhen lassen, dann herausheben. Dazu passen Schlagsahne oder gesüßte Creme fraiche mit Vanille.